Making and Breaking the Grid
Neue Metriken für neues Wirtschaften
"When the world we are trying to explain and improve, [...] is not well described by a simple model, we must continue to improve our frameworks and theories so as to be able to understand complexity and not simply reject it."
Elinor Ostrom (2009) Nobel Prize Lecture, 8. Dezember
Was tun wenn das Raster nicht mehr stimmt? Erfolg drückt sich heute immer noch über das Bruttoinlandsprodukt (BIP), EBIT und Renditen aus – betriebswirtschaftliche Kennzahlen, die das Wirtschaftswachstum, den operativen Gewinn eines Unternehmens oder den Ertrag aus angelegtem Kapital beschreiben. Diese Kennzahlen umfassen Luftverschmutzung, Zigarettenwerbung sowie die Krankenwageneinsätze für Unfallopfer. Sie umfassen Sicherheitsschlösser für unsere Türen. Sie umfassen den steigenden Bodenpreis und die Verdrängung in Städten sowie Zersiedlung auf dem Land. Sie umfassen das Outsourcing von Produktionsstätten in Billiglohnländer und den Vertrieb von Wegwerfware.
Unberücksichtigt lassen sie dagegen die Gesundheit der Menschen, die Qualität ihrer Bildung und die Freude an ihrer Arbeit. Sie umfassen nicht die Schönheit unserer Natur oder die Stärke unserer Initiativen. Sie umfassen nicht den Erhalt unserer Baukultur, die Intelligenz unserer Auseinandersetzungen oder den Zusammenhalt in unseren Kiezen.
Die Debatte, ob die augenblickliche Ausrichtung an rein monetären Kenngrößen Orientierung bietet, ist nicht neu. Sie wurde vor allem durch die Corona-Krise bestärkt. Wer vor der Krise noch behauptet hätte, dass eine Neuorientierung der staatlichen Steuerung in diesem Ausmaß möglich wäre, hätte vermutlich schiefe Blicke geerntet. Doch letztlich bestimmten Fallzahlen in vielen Ländern was wirtschaftlich überhaupt umsetzbar war. Der Staat in seiner paternalistischen Glanzrolle: Wirtschaftliches Handeln wird zugunsten Schadensminimierung gesteuert. Und zumindest gedanklich ist es kein weiter Sprung mehr um Messgrößen wie soziale Teilhabe, Kulturerhalt und regionale Förderung als ökonomischen Erfolg zu sehen.
Aber wo anfangen?
Elinor Ostrom spricht in ihrem Nobelpreis-Werk “Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action” über die Macht der Commons (Allmenden, Gemeingut) und beweist, dass gerade im Fall von Ressourcenknappheit und unter Einhaltung von Richtlinien (sog. Design Principles) lokale Betroffene einer institutionellen Kontrolle immer überlegen sind. Das heißt, je geringer die Kluft zwischen vermeintlichen Experten und Betroffenen, desto nachhaltiger und effizienter ist Wirtschaften möglich. Nun liegt die Expertise nicht nur bei Instanzen sondern in der Privatwirtschaft. Diese handeln nach Effektivitätslogiken, die keine lokale Betroffenheit einschließt. Wäre es nicht denkbar Betroffene stärker in Planung und Produktion mit einzubeziehen? Würden Betroffene nicht klüger über die Funktion der Landwirtschaft in ihrer Nachbarschaft entscheiden können? Müsste ihr Wort nicht über dem der Investoren stehen? Gibt es nicht sogar mehr Potential für die Privatwirtschaft die Gesellschaft schärfer von den Extremen her zu betrachten, statt einen unscharfen Durchschnitt zu bedienen? Die Vorstellung, welche Transformationsprozesse dadurch ausgelöst werden könnten, wenn Betroffene zu Experten und die Wirtschaft zur Partnerin wird, weckt wünschenswerte Vorstellungen.
Die Corona-Krise forderte mehr Mut von uns allen heraus auch andere Maßstäbe in die Berechnung einzubeziehen. Sie zeigte, dass mit Hilfe eines gesellschaftlichen Konsens eine Neubewertung möglich ist, die Wirkung trägt. Sie zeigte, dass auch aus der Krise heraus wirtschaftliche Innovation möglich ist (und damit ist nicht monetäres Wachstum gemeint) und dass eine gesellschaftliche Transformation auch mit wirtschaftlicher Transformation einhergehen kann. Der OECD veröffentlichte zur Hochzeit der Corona-Pandemie den Kompass “Jenseits des BIP: Was bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung wirklich zählt” (OECD 2020) – ein Vorschlag für Messgrößen für nachhaltiges Wirtschaften unter Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Ziele. Damit stellt sich aktuell nicht mehr die Frage was getan werden muss, oder wie es umgesetzt werden kann, sondern wann damit begonnen werden kann und wo das Experimentierfeld dafür ist. Die Zutaten sind vorhanden um sich gemeinsam an einem neuen Raster auszuprobieren.
8. August 2021 (AW)